Ebenso wie bei der Diskussion über Arm und Reich kommt mir bei dem Thema über körperliche oder psychische Gewalt die Frage viel zu kurz, wo denn die wesentlichen Ursachen für das Entstehen der Gewalt liegen. Auch hier stünde es dem Staat gut an, sich ebenso ernsthaft um die Frage der Entstehung, wie um die Frage der Bekämpfung entstandener Gewalt zu kümmern. In unserer Medienwelt lässt es sich leider sehr viel besser vermarkten, über einen Übeltäter zu berichten, als über die Ursachen der Gewalt sachlich zu informieren. Und für Politiker zahlt es sich vor allem vor Wahlen besser aus, einen Übeltäter schnell verhaftet und hinter Gitter gebracht zu haben, als durch kluge und leicht angreifbare Politik verhindert zu haben, dass Menschen zu Übeltätern wurden. Deshalb findet die dringend erforderliche Diskussion über die Entstehung der Gewalt völlig unzureichend statt.
Ich bin mir sehr sicher, dass es der Wille einer großen Mehrheit ist, dass möglichst erst niemand zum Übeltäter wird, der unsere Ängste schürt, unsere Freiheit einschränkt, oder gar unser Leben bedroht. Anstatt das Übel an der Wurzel anzufassen betreiben wir aber auf Kosten der Allgemeinheit einen riesigen Aufwand um:
Wenn Übeltäter dann ihre Tat vollbracht haben, ist ihnen dann in einem ebenso komplizierten Verfahren ihre Schuld zu beweisen. Diesen Beweis zu erbringen gelingt aber sehr häufig nicht und so kann mancher Übeltäter sein Unwesen dann weiter treiben. Das ist keine Beruhigung für die ehrbaren Bürger und frustriert die Ermittlungsbehörden. Den Rechtsradikalen liefert es die Argumente für den starken „Führer“ und den Extremisten gibt es eine gewisse Sicherheit, dass man ihnen nichts anhängen kann.
In der öffentlichen Diskussion wird kaum beachtet, dass die übergroße Mehrheit der Menschen zwar gewaltfrei ist, aber die Veranlagung zur Gewalt in jedem Menschen, aus der Evolution bedingt, vorhanden ist. Ob ein Mensch aber gewalttätig wird, hängt sehr stark von den Erfahrungen ab, die er mit der Umwelt und den Mitmenschen macht. Die Akzeptanz der Bedürfnisse der Mitmenschen und somit die Bereitschaft, kompromissbereit zu sein und sich friedfertig zu verhalten, muss aber bereits in Kindertagen erlernt werden.
Wie soll ein Kind aber diese Erfahrungen sammeln, wenn es von jeglicher Art der Gefahr und Gewalt ferngehalten wird, wie dies heute sowohl gesetzlich durch den Staat aber vor allem auch in den Einkindfamilien durch die Eltern geschieht. Beispielsweise kann man einem Kind nicht erklären, dass es nicht auf die Herdplatte greifen sollte, weil es sich dann die Finger verbrennen wird. Erst wenn sie es haben spüren lassen, wie unangenehm schmerzhaft schon eine ungefährlich heiße Herdplatte ist, werden sie das Kind am besten davor bewahren, sich die Finger zu verbrennen und es künftig dafür empfänglich zu machen, wenn sie sagen „sei vorsichtig es ist heiß“. Mir hat es bei der Erziehung meiner Kinder sehr viel mehr wehgetan als ihnen, wenn ich sie auf diese Art vor Schlimmerem im Leben bewahrt habe.
Ich bin sicher, dass auch eine Erziehung zur Gewaltfreiheit nicht möglich ist, ohne dass ein Kind selber erfährt, was körperliche Gewalt bedeutet, die es anderen zufügt. Ich selbst habe in der Erziehung durch meine Eltern erfahren, wie wichtig das für mein weiteres Leben war. Als jüngster von zunächst 7 Kindern glaubten meine älteren Geschwister wohl, dass ich bevorzugt würde, weshalb sie dies manchmal zum Anlass nahmen mich bis zur Weißglut zu ärgern. In meiner Wut sah ich dann keine andere Möglichkeit mehr, als das Problem mit Gewalt zu lösen, indem ich sie mit allen möglichen Gegenständen bewarf, die zufällig griffbereit waren. Meine Geschwister wollten mir nicht mit gleicher Münze heimzahlen und riefen dann unsere Mutter herbei mit den Worten: „Mutter, Mutter, komm schnell, der Bernd hat wieder einen Wutfall“. Sie verstand es dann geschickt durch Erklärungen und ernste Ermahnungen an beide Seiten zu deeskalieren und wieder Ruhe herzustellen. Bis ich mir eines Tages wieder nicht mehr zu helfen wusste und einem meiner Brüder einen Märklin-Eisenbahnzug an den Kopf warf und ihn dabei verletzte. Jetzt kam auch meine Mutter zu der Überzeugung, dass geduldiges Erklären keine Lösung mehr war und ich erfahren müsse, wie körperliche Gewalt mit Schmerz verbunden sei und dass ich das jetzt auch erfahren müsse. Ich erhielt unverzüglich eine kräftige Tracht Prügel auf den blanken Hintern, für die ich meiner Mutter bis heute noch dankbar bin. Und ich bin ganz sicher, dass ihr das psychisch mehr wehgetan hat als mir körperlich.
Ich befürchte, dass ich, wenn ich nach heutiger Gesetzeslage mit meiner Gewalt hätte erreichen können, was ich in meiner Wut wollte, nämlich Angst zu verbreiten, und es stets bei gutgemeinten Worten geblieben wäre, ich Gewalt als legitimes Mittel verinnerlicht hätte, um meinen subjektiv gerechtfertigten Willen durchzusetzen. Was hätte mich dann noch von einem brutalen Extremisten unterschieden. Ich weiß, jetzt werden mir Einige vorwerfen wollen, ich sei ja ein Befürworter der Prügelstrafe und letztlich doch beim Extremismus gelandet. Damit kann ich sehr gut leben, weil ich der festen Überzeugung bin, dass eine sehr große Mehrheit das nicht so sehen wird. Und ich freue mich ganz besonders, dass Papst Franziskus hier ähnliche Ansichten vertritt wie ich.
Gerade in der heutigen Zeit mit sehr vielen Einzelkindern, werden diese von den Eltern, Omas, Opas, kinderlosen Verwandten usw. wie kleine Herrgötter verwöhnt und mit Geschenken „vergewohltätigt“. Die Liebe einer verantwortungsvollen Erziehung mit verlässlichen Grenzen wird ihnen aber zunehmend mehr verweigert. Ich halte es für unverantwortlich, wenn sich auch noch der Staat aus einer Gemengelage von emotionaler Gefühlsduselei und dem populistisch missbrauchten Begriff des „Gewaltmissbrauchs“ dazu hinreißen lässt, eine verantwortungsvolle Erziehung im Elternhaus und in der Schule so gut wie unmöglich zu machen. Es kommt nicht von ungefähr, dass heute sowohl die Eltern als auch die Lehrer trotz der geringen Kinderzahlen immer stärker damit überfordert sind, verantwortungsvolle Erziehungsarbeit zur Gewaltlosigkeit zu leisten.
Denn sobald die verantwortliche Erziehung über warme Worte hinausgeht, steht gesetzlich der Vorwurf der Züchtigung im Raum; eine noch so leichte Ohrfeige wird rechtlich zu einer Körperverletzung mit möglicherweise psychischen Folgen für das Kind hochstilisiert. Tritt aber das Kind der Mutter gegen das Schienbein, oder schlägt es sie oder brüllt sie an, weil sie ihm kein Überraschungsei kauft; oder schmeißt gar der kleine wütende Bernd seinem Bruder einen Märklin-Zug an den Kopf, dann darf das keine unmittelbaren körperlich spürbaren Folgen haben.
Bestraft werden können dann die Eltern und Erzieher für das Fehlverhalten der Kinder, wenn sie „spürbar“ eingreifen. Sie dürfen sich dann einer weiteren Schmach aussetzen und sich von den Medien als Prügeleltern verunglimpfen lassen oder von Psychologen anhören, dass sie das selber schuld sind, weil sie in der Erziehung versagt haben.
Um jedes Missverständnis auszuräumen, ich bin absolut dagegen, wenn Eltern und Erzieher körperliche und psychische Gewalt dazu benutzen, Kindern ihren Willen aufzudrängen, wie das zu meiner Kindheit durch Eltern, Lehrer und Pastöre noch erlaubt war. Für unverantwortlich halte ich aber, dass dieses Recht praktisch umgekehrt wurde. Heute haben Kinder und Jugendliche bis zu einem Alter von mindestens 14 Jahren faktisch das Recht, jedermann ihren Willen dadurch aufzwingen, in dem sie körperliche oder psychische Gewalt ausüben. Mit angemessenen Gegenreaktionen der geschädigten Personen brauchen sie nicht mehr zu rechnen.
Die Erfahrung zu machen, dass zur Erreichung des eigenen Willens Gewalt gegen andere anscheinend legitim ist, gräbt sich tief ins Unterbewusstsein ein. Vor allem, weil auch die Justiz im Fall des Falles ihnen auch noch zu diesem „Recht“ verhelfen wird. Wie sollen diese Menschen begreifen, dass sie ab dem 18. Lebensjahr plötzlich auf der anderen Seite stehen, ohne jegliche Rückendeckung durch den Staat? Das ist wie eine Einbahnstraße in der die Erwachsenen sich an die Regeln halten müssen und die Minderjährigen praktisch das „Recht“ haben, mit beliebiger Geschwindigkeit in der entgegengesetzten Richtung zu fahren. Schuldig ist aber immer derjenige, der die Verkehrsregel eingehalten hat und nicht der Staat, der diese, in keiner Weise nachvollziehbaren Voraussetzungen geschaffen hat. Ist es da noch verwunderlich, dass das Gefühl von Willkürlichkeit sich immer weiter verbreitet und das Gefühl bei vielen Bürgern weiter zunimmt, das könne nur durch „Eine starke Hand“ wieder ins Lot gebracht werden?
Ich vertrete die These, dass sich in diesem Punkt unser Staatswesen durch den dominierenden Einfluss der sogenannten pädagogischen „Intellektuellen und Eliten“ in eine Richtung hat treiben lassen, die mit praktikabler sachlicher Vernunft und mit dem Willen der großen Mehrheit leider kaum noch etwas gemein hat. Ja, ich bin auch der Meinung, dass eine starke Hand dieses Ungleichgewicht wieder ins Lot bringen muss. Dies aber nicht durch die Hände starker Grüppchen oder Parteien vom rechten oder linken Rand der Gesellschaft, die mit einer Diktatur liebäugeln, sondern durch die große Mehrheit der Bevölkerung in einer zeitgemäßen Verfassung. Ein gewisses Maß an Ausübung körperlicher Gewalt sollte jedem Bürger zugestanden werden in der Art, dass er sich in Reaktion auf die körperliche Gewalt eines anderen spürbar zur Wehr setzen darf. Dabei schließe ich ausdrücklich auch die Wehr gegenüber Kindern ein, als unverzichtbares Mittel für eine verantwortungsvolle Erziehung.
Hierzu eine kleine Geschichte aus meiner persönlichen Biographie. In meiner Anfangszeit als Unternehmer stellte ich fest, dass irgendjemand vom Schrotthaufen unserer Firma immer wieder Schrottstücke auf die Straße warf, was für den Verkehr äußerst gefährlich war. Zunächst räumte ich diese Stücke selbst wieder zurück bis ich die Übeltäterin, ein Kind aus einer kinderreichen Familie in der Nachbarschaft, erwischte. Eine erste Ermahnung zeigte keine Wirkung. Was sollte ich nun tun. Ich hatte wahrlich Wichtigeres zu tun, als mich nun mit Polizei, Rechtsanwälten und Gerichten herumzuschlagen und entschied mich dazu, anstatt „dem Recht Genüge zu tun“, in eigener Verantwortung Gefahren von der Allgemeinheit abzuwenden. Bei dem nächsten Vorkommnis nahm ich die Erziehung in die eigene Hand und gab der Übeltäterin eine heftige Ohrfeige. Danach war das Risiko für die Allgemeinheit “schlagartig“ behoben, ohne diese damit behelligen zu müssen. Die Befürchtung ihrer Mutter, die glaubte, ich habe ihr Kind wegen der Abneigung gegen ihre kinderreiche Familie geschlagen, konnte ich als 7. von 8 Geschwistern sehr schnell zerstreuen. Das Problem war gelöst und es gab danach auch keinerlei Feindseligkeiten mehr zwischen der Übeltäterin, ihrer Familie und mir.
Ich bin mir sehr sicher, dass das Risiko, in einen Atomkrieg zu geraten, erheblich verringert würde, wenn die Anwendung nuklearer Gewalt ausschließlich für den Fall angedroht würde, dass von der Gegenseite ein Angriff bereits zweifelsfrei mit Absicht erfolgt ist und nicht das Ergebnis einer Fehleinschätzung oder einer technischen Panne war. Das Risiko, dass ein Atomkrieg nur durch die Fehlbeurteilung einer Sachlage ausgelöst wird, ist sehr viel größer, als dass ein Machthaber den Einsatz einer Massenvernichtungswaffe zur Durchsetzung seiner Interessen einsetzt. Die Vergangenheit hat deutlich gezeigt, dass selbst die verantwortungslosesten Machthaber nicht so fanatisch sind, sich bewusst durch ihr Handeln selbst in den Tod zu treiben.
Siehe hierzu: